Brief an das Café Sperl am 3. Februar 1985

 

 

Ingrid Englbrecht                                                                                                               Wien, 3.2.1985

1020 Wien, Handelskai 214/12/14                 

 

Café Sperl

Geschäftsleitung

Gumpendorferstraße 11

1060 Wien

 

Lassen Sie mich Ihnen heute eine Geschichte erzählen. Es ist eine wahre Geschichte und sie ereignete sich am Donnerstag, den 31.1. anno 1985 in Ihrem Cafehaus.

 

Ich war zufällig in der Gumpendorferstraße, und da  ich leidenschaftlich Billard spiele, betrat ich das Café in der Absicht, ein bisschen zuzusehen, oder auch selbst zu spielen. Nun war es der Fall, dass alle drei Bretter unbesetzt waren und auch sonst kein Gast in dem für die Billardspieler reservierten Teil des Cafés war. Sozusagen „gähnende Leere“. Es war 15.20 Uhr. 

Nachdem ich keinen Partner hatte, wollte ich alleine zu spielen. Ich griff nach einem Queue und fragte den Ober, auf welchem Brett ich spielen dürfe. Die lakonische Antwort lautete: „Es sind alle drei Billards reserviert.“ Auf meine Frage, ab wann denn, erfuhr ich: „Ab 15 Uhr.“ Ich fand es zwar etwas seltsam, dass dann um 15.30 Uhr noch niemand da war, konnte die Behauptung des Kellners jedoch schwer widerlegen. Auch meine Bitte, solange spielen zu dürfen, bis jemand kommt, wies der unumgängliche Ober strikt zurück.

In diesem Moment betraten zwei junge Burschen das Café, traten auf den Kellner zu und fragten, ob sie Billard spielen dürften. Ich war gespannt: auch diese beiden hatten offensichtlich keinen Tisch reserviert! Und das Wunder geschah: sie bekamen den Tisch ganz hinten zugewiesen.

Nun war ich baff! Was war an mir, das mich dem Ober so unsympathisch machte? Ich blickte an mir herab: schwarze Bundfaltenhose (nicht zu eng) mit Bügelfalte, weißer Kragen, grauer Pullover, schwarze, saubere Stiefeletten, dezente Frisur; nicht alkoholisiert. Hatte er etwa Angst, ich könne die Rechnung nicht bezahlen??

 Auf meine hartnäckige Frage, warum die beiden und ich nicht, da ich ja früher dagewesen wäre, ließ mich der freundliche Ober glatt stehen. Stark angeschlagen in meinem Selbstbewusstsein setzte ich mich erst einmal nieder und sah den zwei Jünglingen zu, wie sie ihre Queues zusammenschraubten. Noch immer war sonst niemand im Billardraum. „Hier dürfen Sie auch nicht sitzen!“ gab mir nun der Ober vollends den Rest und veranlasste mich derart, auf meine Bestellung zu verzichten und fluchtartig das Café zu verlassen.

 Wenn schon Ihr Ober so etwas wie Menschenkenntnis stark vermissen lässt, wäre nicht ein gewisses Maß an Höflichkeit und Entgegenkommen angebracht gewesen? Für viele gastgewerbliche Betriebe gilt immer noch als oberster Leitspruch: Der Gast ist König! Selbst wenn ungewöhnliche Wünsche und sei es auch „nur“ von einer Frau geäußert werden. Oder ist dies vielleicht Ihre Art von „Tradition“?

 

Hochachtungsvoll

 

Ingrid Englbrecht

Turnierspielerin am Matchbillard (2,84 x 1,42), Generaldurchschnitt 7,7, Höchstserie 136,

in der Österr. Verbandsrangliste Freie Partie unter den besten Dreißig

Vertreterin Österreichs bei den 1. Europameisterschaften für Damen im Karambol-Billard

 

 

Anmerkung: Auf meinen Brief gab es weder eine Antwort noch sonst eine Reaktion. Da damals gerade der Film „Karambolage“ gedreht wurde, in dem es um eine Billard spielende Frau geht, die versucht, sich in dieser Männerdomäne durchzusetzen, schickte ich Regisseurin Kitty Kino eine Kopie meines Briefes mit dem ironischen Vermerk :“Liebe Kitty, es war alles umsonst!“ Wenig später fand ich in der Kronenzeitung in der täglichen Rubrik „Ihre Meinung“ der damals sehr bekannten Eva Deissen einen Artikel mit der Überschrift „(Keine) Karambolage“ dazu. Kitty hatte ihr meinen Brief geschickt.

 

 
zurück zur Biografie