12. Europameisterschaft Freie Partie der Damen von 2. - 5.5.2002 in Wien (Österreich)

Die Fachzeitschrift "billard" (Nr. 145) berichtete:

Ingrid hat es geschafft!

Nicht zuletzt die guten Erfahrungen und schönen Erinnerungen, die mit der 10. Europameisterschaft 1998 in Wien verbunden sind, bewogen die Wiener Billard Assoziation, neuerlich ein Turnier dieser Art zu übernehmen. Erfreulicherweise konnte wieder im poule unique gespielt werden, ihr Europameisterschaftsdebut gaben die Damen Celine Bleuse und Julie Martin aus Frankreich und auch Heike Hingerl, die zu ihrer und unserer Freude im letzten Moment noch das EM-Ticket löste. Der offizielle Delegierte des Europaverbandes CEB war wie schon 1998 Schatzmeister Ernst Weber, der von seiner Gattin begleitet wurde. Je drei Damen aus Frankreich und aus Österreich, eine Deutsche, eine Schweizerin und die holländische Titelverteidigerin gingen letztlich in Wien an den Start, wobei zu unserer Überraschung der holländische Verband auf das Recht, eine weitere Sportlerin zu entsenden, verzichtete.

1. Runde: In diesem Eröffnungsdurchgang war die Titelverteidigerin spielfrei, während die übrigen Medaillenanwärterinnen wohl an die Arbeit mussten, dabei aber doch eher lösbare Aufgaben vorfanden. Susi Stengel spielte gute 10 Aufnahmen gegen Mitterböck, wobei sie ihren schönen Durchschnitt hauptsächlich der guten Schlussserie verdankt. Noch besser startete Englbrecht, die in 9 Aufnahmen am Ziel war. Sie ging gegen Heike Hingerl sehr konzentriert zur Sache, wohl nicht zuletzt deshalb, weil ihr die Erinnerung an die Niederlage bei der Meisterschaft durchaus noch präsent war. Eine der Wien bislang unbekannten Spielerinnen war die Französin Martin, die ihre erfahrene Landsfrau Suter in große Schwierigkeiten brachte, ehe ihr dann doch ein wenig die Luft ausging. Für die Überraschung der Runde sorgte eine weitere Debutantin, Celine Bleuse. Sie spielte gegen Wild völlig unbekümmert und beeindruckte dabei mit ihrer Sicherheit in den großen Bällen. Wild konnte weder ihre Nervosität noch ihre Gegnerin je abschütteln, kaum hatte sie einmal eine kleine Führung erkämpft, schaffte die Französin prompt wieder den Anschluss. Nach 30 Aufnahmen hatte Wild 146 Points zu Buche stehen und musste dann zusehen, wie ihre Gegnerin zunächst mit dem Nachstoß, als Zweibänder, den Gleichstand erzielte und mit weiteren 3 Points den Sieg fixierte. Die Europameisterschaft hatte ihre erste Überraschung und die Medaillenhoffnungen von Wild einen ersten Dämpfer.

2. Runde: Ingrid zeigte auch in der 2. Runde eine feine Leistung und hielt damit die Führung im Zwischenklassement. Erstmals griff nun van Exter ins Turniergeschehen ein und bewies gleich einmal, dass mit ihr, wie erwartet, zu rechnen sein würde. Wild hatte sich gefangen und zeigte nun ebenfalls gepflegtes Billard, und Bleuse konnte sich recht sicher gegen Martin durchsetzen. Die hübsche junge Dame zeigte wieder die Vorzüge, aber auch die Schwächen ihres Spieles. So legt sie unmittelbar vor dem Abstoß stets einen kleinen Zwischenschwung ein, der sich speziell im kleinen Spiel immer wieder als kontraproduktiv erweist; häufig reißen ihr dabei die Bälle regelrecht ab. Ihre Stärken liegen, wie bereits angedeutet, im Lösen großer Bälle, aber auch im für ihre Spielstärke guten Positionsspiel. Diesmal klappte bei ihr der Anfangsstoß als Zweibänder nicht und als ihr dann einmal der Schiedsrichter im Lauf der Partie die Bälle aufsetzen musste, spielte sie die „normale“ Variante mit drei Banden und traf nun sicher.

3. Runde: Mit Diane Wild hatte Ingrid in der ersten Spielrunde des Freitags auch die erste ganz schwere Prüfung zu bestehen. Im Schlager dieser Runde zeigten dann auch beide Damen gutes Billard, wobei Wild bis zum Schluss gehörig Druck machte. Beim Stand von 137 : 118 für die Schweizerin raffte Ingrid im richtigen Moment alle Kräfte zusammen und stieß mit 32 Points aus, womit sie nicht nur die Tabellenführung behaupten konnte, sondern vor allem zwei hochwichtige Partiepunkte auf ihr Konto brachte. Ponsing-Stengel zeigte deutlich die Grenzen von Bleuse auf, van Exter hatte ebenfalls keine Mühe mit Martin, und Helga Mitterböck gab die rote Laterne an Heike Hingerl ab, die sie knapp aber eben doch schlagen konnte.

4. Runde: Für unsere Hoffnungsträgerin war der Freitag überhaupt ein Tag großer (Vor-) Entscheidungen, nach Wild im ersten Spiel des Tages wartete nun Ponsing- Stengel. Ingrid bewies großartige spielerische und auch nervliche Substanz, sie nutzte ihre allererste Gelegenheit zu einer tollen Serie von 104 Points, ein Schock, von dem sich ihre deutsche Konkurrentin nicht mehr erholte. Nach nur 8 Aufnahmen ging Ingrid als gefeierte Siegerin vom Tisch und durfte nun sogar an den Titel denken. Suter schlug Hingerl recht deutlich, dennoch konnte sich die Grazerin dabei durchaus gut in Szene setzen. Noch besser aber machte es Mitterböck, sie schlug die Französin Martin und hatte damit einen möglichen letzten Platz im Schlussklassement vorzeitig abgewendet.

5. Runde: Am Samstag standen drei Runden am Programm, in der ersten von ihnen war Englbrecht spielfrei. Da gab es nichts Unerwartetes, zu klar ist der Leistungsunterschied zwischen Ponsing-Stengel und Martin, Van Exter und Hingerl bzw. Wild und Mitterböck. Eine überzeugende Leistung bot Huguette Suter gegen Bleuse, die routinierte Spielerin schickte sich an, das beste EM-Turnier ihrer Karriere zu spielen.

6. Runde: Aufgrund der bisherigen Ergebnisse wurden die noch ausstehenden Runden getauscht. Fast alles deutete zu diesem Zeitpunkt auf ein Finale zwischen Titelverteidigerin van Exter und Englbrecht hin, und das wollte man natürlich in der Schlussrunde sehen. Ingrid landete gegen Mitterböck einen Erfolg in 14 Aufnahmen, man hatte das erwartet, überraschend aber kam die tolle Gegenwehr von Mitterböck, die mit einer Serie von 63 Points eine klare persönliche Bestleistung erzielte. Ebenfalls 14 Aufnahmen benötigte van Exter gegen Wild, deren Medaillenhoffnungen nun endgültig begraben waren, Bleuse gewann deutlich gegen Hingerl und Ponsing-Stengel zeigte mit 25 Durchschnitt gegen Suter eine Leistung, die in diesem Turnier nicht mehr erreicht werden sollte. Die Deutsche hatte Vorteile im Generaldurchschnitt gegenüber Englbrecht und war daher trotz des Rückstandes von 2 Partiepunkten noch keinesfalls aus dem Titelrennen.

7. Runde: Es war eine Bonusrunde für Ingrid, nicht nur aufgrund des ungefährdeten Sieges gegen Martin. Das herausragende Ereignis dieses Durchganges war vielmehr die Niederlage der Titelverteidigerin gegen Suter, die damit für Ingrid unschätzbare Schrittmacherdienste leistete. Dieses Ergebnis überstrahlte natürlich die restlichen Spiele, auch die neuerliche ganz starke Leistung von Ponsing-Stengel gegen Wild.

8. Runde: Van Exter war durch die Niederlage zuvor und aufgrund ihres unterlegenen Generaldurchschnittes aus dem Titelrennen, sie kämpfte nun um Silber, und auch dazu benötigte sie noch wichtige Partiepunkte, so zum Beispiel gegen Ponsing-Stengel, im Spitzenspiel dieses Durchganges. Die Deutsche wiederum durfte sich keinen Punkteverlust erlauben, wollte sie ihre intakten theoretischen Titelchancen am Leben halten. Diesem Spiel gehörte praktisch die ungeteilte Aufmerksamkeit in dieser Runde, und die österreichischen Fans hatten da natürlich genaue Vorstellungen von einem Wunschresultat. Parallel dazu erledigte Ingrid die Pflicht gegen Bleuse, aber wohl in Gedanken auch mehr bei dem für sie so wichtigen Spiel ihrer schärfsten Konkurrentinnen. Dort wurde verbissen um jeden Punkt gerungen, und je länger das Match dauerte, desto größer wurden die Probleme der Deutschen, und letztlich wurde sie von van Exter regelrecht niedergefightet, die entthronte holländische Titelverteidigerin wurde tatsächlich zur Meistermacherin für Ingrid – eine Runde vor Schluss stand Englbrecht als neue Europameisterin fest! Im Schatten dieses Großereignisses landete Wild einen überzeugenden Sieg gegen Suter und Heike Hingerl konnte den 9. Platz durch einen Erfolg gegen Martin an diese abgeben.

9. und letzte Runde: Wild, Ponsing-Stengel und Suter verabschiedeten sich vom Publikum mit guten Leistungen und sicheren Siegen, ihre Darbietungen aber standen natürlich ganz im Schatten des Jubels um die neue Europameisterin. Was macht es da schon, dass Ingrid gegen van Exter eine klare Niederlage einstecken musste, ihre Konzentration war einfach weg, bei ihr brachen natürlich alle
nervlichen Dämme, hatte ihre tolle Karriere doch an diesem Wochenende einen unüberbietbaren Höhepunkt erfahren.
Es gibt keine andere Spielern, die dem Billardsport in vergleichbarer Weise zugetan ist. Ihre Erfolgsbilanz ist einzigartig, sowohl was die Qualität dieser Erfolge als auch die Dauer ihrer Karriere anbelangt, in der sie nach wie vor um eine Verbesserung von Spiel und Technik bemüht ist. Sie hat bei Europameisterschaften Medaillen in jeder Wertigkeit erobert und war, gemeinsam mit zwei Kolleginnen, zweimal Gewinnerin des wunderbaren Damenturniers in Lüttich. Dazu kommen ihre „selbstverständlichen“ Erfolge bei den Staatsmeisterschaften.
Und das vielleicht Schönste an diesem Erfolg: es gab absolut niemanden, der ihr diese Sternstunde nicht gegönnt hätte.
Die Wiener Billard Assoziation darf für sich in Anspruch nehmen auch die zweite Europameisterschaft im Haus würdig und dem Anlass gemäß durchgeführt zu haben. Viele haben mitgewirkt, stellvertretend für alle sei Frau Dr. Scholze genannt, die als Turnierleiterin, Schiedsrichterin, Saalsprecherin und Verantwortliche für den Ergebnisdienst Hervorragendes geleistet hat. Peter Stöger

1. Ingrid Englbrecht (A) 14 – 02 1088 103 10,563 18,750 108
2. Monique van Exter (NL) 14 – 02 1195 137 8,772 13,636 92
3. Susanne Stengel-Ponsing (D) 12 – 04 1034 93 11,118 25,000 107
4. Huguette Suter (F) 10 – 06 900 121 7,438 15,000 72
5. Diane Wild (CH) 08 – 08 1075 137 7,846 15,000 111
6. Celine Bleuse (F) 08 – 08 853 150 5,686 7,500 41
7. Helga Mitterböck (A) 04 – 12 623 163 3,822 4,200 63
8. Heike Hingerl (A) 02 – 14 550 167 3,293 3,733 23
9. Julie Martin (F) 00 – 16 548 169 3,242   44
     

 

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